Grenzen der Harmonisierung EPUE oder EPA? (in Arbeit) Atilla Pramhas (a@pamt.at) 13. May 2022 aehrend das Europaeische Patentuebereinkommen und das Patentgesetz als harmonisiert gelten, kann das von der Rechtsprechung nicht behauptet werden. In diesem Artikel wird auf die Grenzen der Harmonisierung eingegangen Quelle: http://pamt.at/harmon ASCII/HTML/PDF Einleitung Die vollstaendige Harmonisierung im Patentrecht stellt eine nunmehr mehrere Jahrzehnte dauernde Anstrengung, die noch nicht zum Erfolg gefuehrt hat, dar. Das liegt an den dahinter stehenden politischen und rechtlichen Spannungen[1]: Die Frage der Patentierbarkeit von Software ist ein politisch und juristisch hoechst umstrittener Bereich des IT-Rechts, da mit der Patentierbarkeit die Ausschliessung von Nachahmern und Nutzern einhergeht. Dies widerspricht natuerlich dem OpenSourceAnsatz, der in der Moeglichkeit der freien Weiterentwicklung durch eine potentiell unbegrenzte Zahl an Entwicklern ein immenses Innovationspotential sieht. Befuerworter der Patentierbarkeit fuehren demgegenueber an, dass nur mit einem Patentschutz hohe Investitionen in die Entwicklung von Software amortisiert werden koenne. Nur so seien professionelle Entwickler und Finanziers zu Weiterentwicklungen bereit. Die Patentierungspraxis der nationalen Patentaemter und Gerichte ist bisher gleichermassen uneinheitlich und stark einzelfallabhaengig. Dies liegt v. a. am Begriff der Technizitaet, der gemaess Paragraf 1 Abs 1 PatG, Art 52 Abs 1 EPUE die Voraussetzung fuer den Patentschutz im Allgemeinen ist. Zu den juristischen Problemen zaehlen Unterschiede zwischen dem Europaeischen Patentuebereinkommen und nationalen Normen. Beispielsweise ist weitgehende Harmonisierung des oesterreichischen Patentgesetzes mit dem Europaeischen Patentuebereinkommen gegeben, letzteres kennt jedoch keine Gebrauchsmuster. Daraus resultierende Schwierigkeiten, die einer Harmonisierung im Weg stehen werden in "Genrauchsmuster und `any hardware' - Ein Widerspruch"[2] behandelt. Im Folgenden sind weitere UEberlegungen zu den Grenzen der Harmonisierung zu finden. Gegenseitige Harmonisierung Die harmonisierte Auslegung von gleichlautenden Bestimmungen des Europaeischen Patentuebereinkommens und des Patentgesetzes, also die gegenseitige Verwendung von Entscheidungen ueber nationale Grenzen hinweg, bereitet Probleme. Die Harmonisierung erstreckt sich auf alle Mitgliedsstaaten des Europaeischen Patentuebereinkommens. Das sind insgesamt 38 Staaten[3]. Jede Instanz eines Mitgliedsstaats sollte auch die Entscheidungen der Instanzen aller anderen Mitgliedsstaaten beruecksichtigen. Die Beschwerdekammern des Europaeischen Patentamts beruecksichtigen die Entscheidungen nationaler Instanzen[4] In the interest of the harmonisation of national and international rules of law, the boards of appeal will take into consideration decisions and opinions given by national courts in interpreting the law [] OEsterreichische Instanzen wiederum zitieren regelmaessig europaeische und deutsche Entscheidungen und weisen auf die Bedeutung der Harmonisierung hin, z. B.[5]: - In der Entscheidung 34R88-15h wird darauf hingewiesen, dass die harmonisierte Auslegung von gleichlautenden Bestimmungen des Europaeischen Patentuebereinkommens und des Patentgesetzes vom Gesetzgeber als grundsaetzlich wuenschenswert angesehenen wird. - Der Oberste Gerichtshof bestaetigt diese Ansicht implizit durch zahlreiche zitierte europaeische und deutsche Entscheidungen. - In aelteren Entscheidungen ist sogar davon die Rede, dass eine harmonisierungsfreundliche Auslegung des innerstaatlichen Patentrechts im Lichte des Europaeischen Patentuebereinkommens geboten sei (RS119499 aus 4Ob214/04f). EPUE oder EPA? Es ist zu beobachten, dass die harmonisierungsfreundliche Auslegung des innerstaatlichen Patentrechts im Lichte des Europaeischen UEbereinkommens oft mit UEbereinstimmung mit allen Entscheidungen der Beschwerdekammern des Europaeischen Patentamts verwechselt wird. Hier ist eine klare Trennung von Noeten, was beispielsweise im Folgenden bezogen auf die Tuerkei, ein Mitglied des Europaeischen Patentuebereinkommens, zum Ausdruck gebracht wird[6][7]: The EPC law can be applied directly in Turkey and therefore it is legally binding. Alongside other member states, Turkey also declared and signed the EPC and as such recognises the competence and the decisions of the institutions which have been introduced in the convention. It is assumed that the member states are not able to declare their commitment for certain bodies of the European Patent Office (EPO), such as decisions only made by the examination division or appeal board. This may seem an unusual statement, however, it should be stressed as it is one of the most important proceedings in Turkey, it has been argued by IP courts that EPO decisions are only binding for Turkey if the decision can be grounded on an explicit provision in the EPC. Harmonisierung bedeutet nicht, dass die oesterreichische Rechtsprechung an die Entscheidungen der Beschwerdekammern des Europaeischen Patentamts de facto gebunden wird, und der Versuch, eine solche Bindung herbeizufuehren, ist umstritten[8]: Problematisch an dieser Argumentation ist, dass die Entscheidungen der Beschwerdekammer des EPA fuer OEsterreich weder bindend noch massgeblich sind. Da jedoch das oesterreichische PatG explizit nach dem EPUE modelliert wurde und eine Harmonisierung mit diesem erreicht werden sollte, ist eine Beruecksichtigung zumindest wuenschenswert. Dies kann jedoch nicht bedeuten, dass jegliche Rsp des EPA, inkl aller AEnderungen seit damals, unhinterfragt zu uebernehmen ist, sondern dass eine UEberpruefung auf Einklang mit dem EPUE bzw dem PatG erforderlich ist. Denn das EPA unterliegt keiner oesterreichischen oder unionsrechtlichen gerichtlichen Aufsicht, sondern kennt lediglich einen internen Instanzenweg. Dem Gesetzgeber ist jedoch jedenfalls diejenige Judikatur als bekannt und akzeptiert zuzusinnen, welche zum damaligen Zeitpunkt tatsaechlich bekannt war. Viele der zitierten Entscheidungen datieren spaeter, doch die Grundannahme, dass (lediglich) ein "weiterer technischer Effekt" erforderlich ist, entstammt deutlich aelteren Entscheidungen. Des Weiteren befreit, wie von einer technischen Beschwerdekammer des Europaeischen Patentamts festgehalten, die Berufung auf Harmonisierung nicht von der eigenen Verantwortung[9]: Nevertheless, in the proceedings before the European Patent Office, such considerations do not exonerate a board of appeal from its duty as an independent judicial body to interpret and apply the European Patent Convention and to decide in last instance in patent granting matters. In addition, despite harmonised legal regulations it is not self-evident that their interpretation is also harmonised among different national courts, let alone courts of different contracting states, so that the boards of appeal would be at a loss as to which interpretation to follow if they did not exercise their own independent judgement.". Das gilt fuer jede einzelne, nationale Instanz. Zusaetzlich stellen die Entscheidungen der technischen Beschwerdekammern des Europaeischen Patentamts keine stabile Basis fuer eine quasi kritiklose UEbernahme derselben, denn sie koennen im Widerspruch zu Entscheidungen nationaler Instanzen, zu Entscheidungen anderer technischer Beschwerdekammern und zu eigenen, aelteren Entscheidungen stehen[10]: A decision deviating from an opinion given in another decision of a board of appeal, a diverging opinion expressed in decisions of different boards, or a deviation from some national jurisprudence [] are not per se valid reasons for referral [] Solche Diskrepanzen werden also nicht unbedingt beseitigt - das System ist in sich nicht harmonisiert. Das wird auch in einer anderen Entscheidung einer technischen Beschwerdekammer festgehalten[11]: [] the instances of the European Patent Organisation work within a codified system of law, i.e. the European Patent Convention and its implementing regulations, and are constrained by case law only in the case of decisions handed down by the Enlarged Board of Appeal. Eine Beschwerdekammer ist kein Gericht Weiter existiert das zentrale Problem der fehlenden Gerichtsqualitaet der Beschwerdekammern des Europaeischen Patentamts, einschliesslich der grossen Beschwerdekammer[12]: What about the organizational structure of the European Patent Office? Clear deficits can also be seen here: For example, the EPO administration is also in charge of the organizational unit within the EPO for the judicial bodies. The president is ultimately the "supervisor" of the judicial bodies and their members. The institutional autonomy of the judicial bodies with an own budget, legal personality and an independent autonomous management is thus missing. Executive and judiciary are therefore not separated. But it is exactly such a separation that is a core element of a modern constitutional state and a prerequisite for fair legal protection in the sense of the EPC. In this way, the constitutional state becomes a farce! Kiesewetter-Koebinger stellt fest[13]: Wie die Internationale Gewerkschaft im EPA in einem offenen Brief juengst wieder aufgezeigt hat, fuehlt sich das EPA als supranationale Organisation selbst an Entscheidungen des Europaeischen Gesetzgebers formal nicht gebunden[]. Da das EPA derzeit von keiner gemeinsamen Europaeischen Gerichtsbarkeit kontrolliert wird, erscheint eine Klaerung der Rechtsfragen [zur Patentierung von Computerprogrammen] in den einzelnen Mitgliedsstaaten zumindest prinzipiell der einzig vernuenftige Weg. Das Europaeische Patentamt ist weder ein Amt noch europaeisch - u. a. unterscheidet es die Finanzgebarung von einem klassischen Amt und es entzieht sich der Kontrolle durch europaeische Institutionen. Siehe auch Thorsten Bausch.[14] Der oesterreichische Gesetzgeber[15] erachtete es fuer sinnvoll, die zweite und dritte Instanzen aus dem OEsterreichischen Patentamt, in dem sich auch die erste Instanz befindet, zu nehmen. Ihre Agenden wurden von den ordentlichen Gerichten uebernommen. Das Europaeische Patentamt ist hier noch nicht so weit. Schlusswort Wesentliche Entscheidungen der grossen Beschwerdekammer[16] und des Bundesgerichtshofes[17] sind umstritten[18]. Das geringe Fallaufkommen in OEsterreich fuehrt dazu, dass falsche Entscheidungen hoeherer Instanzen lange Zeit Auswirkungen haben. Umgekehrt dauert es lange bis Entscheidungen des Europaeischen Patentamts durch oesterreichische Gerichte bestaetigt werden. In Summe ist die Harmonisierung der Rechtsprechung alles andere als einfach und kann nicht quasi automatisch erfolgen.[19] [1] Christian Regnery, "Patentschutz von Computerprogrammen - BGH vom 20.01.2009 - 1. Einleitung", 23. September 2009, http://pamt.at/at. [2] EPUE oder EPA? (in Arbeit) Atilla Pramhas, "Gebrauchsmuster und ,any hardware` - Ein Widerspruch", 2022, http://pamt.at/anyhw. [3] EPA, "Mitgliedstaaten der Europaeischen Patentorganisation", zugegriffen 21. April 2022, http://pamt.at/khyj. [4] T 0154/04, "Estimating sales activity / DUNS LICENSING ASSOCIATES" (EPA, 15. November 2006), http://pamt.at/z9. [5] 34R88/15h, "Verfahren zum Lesen und Schreiben von Daten" (OLG Wien, 26. Jaenner 2016), http://pamt.at/9a; 4Ob94/16a, "Verfahren zum Lesen und Schreiben von Daten" (OGH, 25. August 2016), http://pamt.at/1wh3; 4Ob214/04f, "Neue Formen von Paroxetin-hydrochlorid-anhydrat" (OGH, 9. November 2004), http://pamt.at/k6. [6] Selin Sinem Erciyas und OEzge Atilgan Karakulak, "Interpretation of force of EPC and institutions of EPO by Turkish IP courts", Intellectual Property and Entertainment Law - Newsletter of the International Bar Association Legal Practice Division 7, Nr. 2 (1. Dezember 2015): 41-43, http://pamt.at/gi. [7] Betonungen hinzugefuegt [8] Michael Sonntag, "Zur Technizitaet von Software-Patenten, insb. Anspruechen auf Datenstrukturen - Besprechung und Kommentar zu OGH 25.8.2016", jusIT, Nr. 2/2017 (27. April 2017): 5-9, http://pamt.at/od. [9] T-0154-04 [10] T-0154-04 [11] T 0910/06, "Polymerisation catalyst and process - Reason for the Decision, Punkt 2.8" (EPA, 10. Dezember 2008), http://pamt.at/1f. [12] Cohausz & Florack, "Blog and News: The modern constitutional state becomes a farce - Interview with Prof. Dr. Siegried Bross", 8. Dezember 2017, http://pamt.at/fx; Cohausz & Florack, "Blog and News: European Patent Convention, Unified Patent Court and the German Basic Law - Prof. Dr. Siegried Bross", 8. Dezember 2017, http://pamt.at/jd; Siegfried Bross, "Die Patenterteilungspraxis nach dem EPUE - Erosion des Rechtsstaates?", GRUR 2017, Nr. 8-9 (1. August 2017): 670-74, http://pamt.at/bt. [13] Swen Kiesewetter-Koebinger, "Anmerkungen zu neuesten Softwarepatententscheidungen EPA G 3/08 und BGH, Beschl. v. 22. April 2010 -- Dynamische Dokumentengenerierung", GB - Der Gruene Bote, Maerz 2010, 201-6, http://pamt.at/tq; SUEPO, "Letter to the members of the european parliament involved in intellectual property issues", 10. Mai 2010, http://pamt.at/qh; Christina Geimer, "EPA-Disziplinarverfahren: ,Verwaltungsrat und Battistelli handeln ohne rechtliche Grundlage` - Interview mit Siegfried Bross", JUVE-Newsline, 29. Oktober 2015, http://pamt.at/n3. [14] "The EPO's Ride from Patentamt to Oktroybureau", 24. November 2020, http://pamt.at/71gq. [15] Heinz Fischer und Werner Faymann, "BGBl I Nr. 51/2012 - Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012", 5. Juni 2012, http://pamt.at/x9; Wikipedia, "Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012", 16. Jaenner 2016, http://pamt.at/9y. [16] Wikipedia, "G 3/08", 1. Maerz 2017, http://pamt.at/a8; G 3/08, "Programs for computers" (EPA, 12. Mai 2010), http://pamt.at/dr. [17] Wikipedia, "Dynamische Dokumentengenerierung", 16. August 2017, http://pamt.at/8i; Xa ZB 20/08, "Dynamische Dokumentengenerierung" (BGH, 22. April 2010), http://pamt.at/qf. [18] Kiesewetter-Koebinger, "Anmerkungen zu neuesten Softwarepatententscheidungen EPA G 3/08 und BGH, Beschl. v. 22. April 2010 -- Dynamische Dokumentengenerierung"; Justine Pila, "Software Patents, Separation of Powers, and Failed Syllogisms: A Cornucopia from the Enlarged Board of Appeal of the European Patent Office (May 2010) - Oxford Legal Studies Research Paper No. 48/2010", Cambridge Law Journal 70, Nr. 1 (2011): 203-28, http://pamt.at/ax. [19] Bibliografie: http://pamt.at; Abkuerzungen: http://pamt.at/abk